Reflexionen

Virginia Overton. Kunsthalle Bern. Bis 6. Oktober 2013.

 

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cwb. Schon von weitem ist die Wetterfahne auf dem Dach der Kunsthalle zu erkennen, die Virginia Overtons Handschrift trägt: Wie eine kleine Schwester der 16 eindrucksvollen Figuren, die letztes Jahr bei Freymond-Guth in Zürich zu sehen waren, dreht sich ein kupferglänzendes «Mudflap-Girl» (Cherry) im Wind. Der weisse Leuchtkasten in der Eingangshalle des Gebäudes mit dem Schriftzug «Kunsthalle Bern» verweist mit leichter Ironie auf eine weitere Ausstellung der Künstlerin in New York, wo sie für The Kitchen einen entsprechenden Kasten angefertigt hatte. Auch in Bern liess ihr der Direktor Fabrice Stroun freie Hand, die Räumlichkeiten nach ihren Vorstellungen auszugestalten.

Virginia Overton studiert den Raum, seine Geschichte, seine Natur und seine Wirkung eingehend, bevor sie nach dem Prinzip «Trial and Error» loslegt: «Figuring out what work might be». Was daraus entsteht, ist radikale Skulptur, wie die massiven Bretter, die diagonal in einen der Ausstellungsräume gewuchtet sind, oder die gewaltigen Teilstücke eines Fischgratparkettbodens, die sie im Untergeschoss an die Wand montiert hat, um dem Betrachter eine völlig neue Sichtweise auf den Alltagsgegenstand zu vermitteln: «The floor is on the wall». Neben der Liebe zum Material – insbesondere dem Holz – sind Reflexionen und Echos wichtige Elemente ihrer Arbeiten. Im Hauptraum findet sich das Sternenmuster des Deckenfensters gespiegelt und durch die Hand der Künstlerin in eine riesige Intarsie aus unterschiedlich schattiertem Föhrenholz verwandelt als Bodenbelag wieder.

Das Material für die Ausstellung stammt fast ausschliesslich aus der Umgebung von Bern, so auch die beiden abgenutzten Werbetafeln für Hühnerfutter, die mit drei spiegelnden Leuchtkästen kommunizieren. In der Digitalprojektion «Storyteller» reflektiert ein mit Overton befreundeter Sägereibesitzer aus ihrem amerikanischen Heimatstaat Tennessee über seine Auffassung von Kunst, während wir ihm vor dem Hintergrund einer lärmenden Motorsäge beim Fällen von Bäumen zusehen: «Wie die Zeder eine Handlungslinie hat, so muss auch die Kunst eine Geschichte erzählen…».

 

Neue Zürcher Zeitung   Feuilleton   14. 9. 2013   Nr. 213   Seite 55

Foto: Caroline Weis, 2013