Werden und Vergehen

Wilfrid Moser. Kloster Schönthal. Bis 26. April 2015.

 

 

 

cwb. Die felsige Landschaft um das Kloster Schönthal und die entlaubten Bäume dieser Jahreszeit geben den perfekten Rahmen für Wilfrid Mosers (1914-1997) Fels- und Unterholz-Bilder, die in den siebziger und achtziger Jahren entstanden sind. Der in Zürich geborene Autodidakt, den es nach dem Zweiten Weltkrieg nach Paris zog, war in den fünfziger Jahren ein wichtiger Vertreter der französischen Tachisme-Bewegung. Nach verschiedenen Abstraktionsphasen und Experimenten mit Assemblagen, Collagen und dreidimensionalen Objekten, kehrte der Künstler in den Siebzigern jedoch zur gegenständlichen Malerei zurück.

Die Konstitution des Raums, die Bewegungen von Aufbau und Zerfall und die Dramatik des menschlichen Daseins, wie sie die griechische Mythologie darstellt, sind wiederkehrende Motive in Mosers Werk. Als Corpus Delicti und Grabstein zugleich erzählt der massive Felsblock im Zentrum des grossformatigen Gemäldes «Le tombeau d’Acis» vom tragischen Tod des Geliebten der Galatea. Unverrückbar ragt er aus kantigem Geröll hervor und im schattigen Hintergrund deuten die fast senkrecht aufstrebenden Diagonalen die Richtung an, aus der ihn der eifersüchtige Zyklop Polyphem auf seinen Rivalen herabwarf. Die Metamorphose ist noch nicht erfolgt, steht aber unmittelbar bevor. Der Stein wird sich auftun und der Fluss Acis wird aus ihm herausprudeln – alles was der Nereide von ihrem Gefährten bleibt.

Etwas latent Bedrohliches und Endzeitliches haftet Mosers naturalistischen «Rocher»- und «Sous-bois»-Bildern an: Scharfe Bruchkanten grenzen die Felsstücke voneinander ab, deren glatte Flächen das grelle, bisweilen irreale Licht reflektieren und damit einen harten Kontrast zu den dunklen Spalten der Zwischenräume bilden. Gefallene Bäume scheinen sich inmitten von wirrem Geäst und wilden Gräsern gegen ihr Schicksal aufzulehnen – feste Materie bricht auseinander, Geschichtetes und Gewachsenes zerfällt. Wilfrid Mosers Naturräume sind Sinnbilder für das Entstehen und Vergehen, aber auch ein Bekenntnis an die Schönheit dieses immerwährenden Prozesses.

 

Neue Zürcher Zeitung   Feuilleton   14.3.2015   Nr. 61   Seite 51