Rollenspiele

Manon. Kunsthaus Interlaken. Bis 3. Mai 2015.

 

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cwb. Sie hatte die Kunstgewerbeschule und die Schauspielakademie besucht, war Model, Muse, Stylistin und Modegestalterin, bevor sie 1974 mit ihrem ersten künstlerischen Auftritt «Das lachsfarbene Boudoir» – einem sinnlich-frivolen Arrangement persönlicher Gegenstände und Fetische – in der Zürcher Galerie Li Tobler für Furore sorgte. Weitere aufsehenerregende Installationen und Performances folgten – Manon, wie sie sich seit Mitte der sechziger Jahre nennt, entwickelt sich zum lebenden Kunstwerk und zur Meisterin der Selbstinszenierung. Ende der Siebziger entstehen in Paris die ersten Fotoserien, wie «La dame au crâne rasé» oder «Elektrokardiogramm 304/303». Weiblichkeit, Erotik und das Spiel mit verschiedenen Rollen werden zum Experimentierfeld der in Bern geborenen Künstlerin.

In einer Ausstellungsreihe, die das Kunsthaus Interlaken bedeutenden Künstlerinnen widmet, sind Werke von Manon aus verschiedenen Schaffensphasen zu sehen: Neben Schwarz-Weiss-Bildern aus frühen Serien wie «Die graue Wand oder 36 schlaflose Nächte», sind auch neuere Projekte vertreten, in denen sie sich zunehmend mit der Vergänglichkeit auseinandersetzt. In der Reihe «Einst war sie Miss Rimini» spielt Manon mit wechselnden Identitäten, präsentiert sich als alternde Lady im Leopardenlook, als Spitalpatientin oder als schlampige Concierge.

Als Kulisse für die grossformatigen Bilder der Serie «Hotel Dolores» dienten die heruntergekommenen Räume dreier verlassener Hotels, die Manon mit Geschichten neu belebt: Ein vergessenes rotes Varieté-Kleid in einem schäbigen Treppenaufgang oder die Künstlerin selbst, mit verbundenem Kopf und – als Hommage an El Lissitzky – einem Zirkel in der Hand, sind meisterhaft in Szene gesetzt. Die Installation «Reise nach Sibirien» macht die Konfrontation mit der Zeitlichkeit schliesslich unausweichlich – der Gegensatz vom sterilen, unterkühlten Warteraum mit elektronischer Zeitansage zur wohlig-zeitlosen Atmosphäre des «lachsfarbenen Boudoirs» könnte nicht frappanter sein.

 

Neue Zürcher Zeitung   Feuilleton   18.4.2015   Nr. 89   Seite 55

Foto: Caroline Weis, 2015