Olfaktorische Kunst

Caroline Weis

 

In Prousts Roman ‹À la recherche du temps perdu› ist es das Aroma einer Madeleine, das die Zeitreise des Protagonisten Marcel in Gang setzt und die Erinnerungen an seine Kindheit aufleben lässt; in Melvilles ‹Moby-Dick› betört der wunderbare Geruch des Walrats Ismael so sehr, dass er sich ins Paradies der Liebe versetzt fühlt, und Jean-Baptiste Grenouille wird in Süskinds ‹Parfum› am Ende gar von einem Haufen Gesindel aufgefressen, weil sein unwiderstehlicher Duft den Leuten den Verstand raubt. Aber nicht nur die Literatur macht sich den physiologisch bedingten Zusammenhang von Geruch und Gefühl zunutze, auch in den bildenden Künsten hat das Phänomen längst Eingang gefunden.

Dies veranschaulicht die Gruppenausstellung ‹Belle Haleine – Der Duft der Kunst› im Museum Tinguely. Als Auftakt einer Reihe von Ausstellungen, die sich mit den fünf Sinnen befasst, steht in dieser ersten Schau das Olfaktorische im Zentrum. Neben allegorischen Darstellungen von Altmeistern wie Cornelis Cort oder Pieter Jansz Quast sind vor allem Werke aus dem 20. und 21. Jahrhundert zu sehen und mit dem Geruchssinn zu erfahren.

 

Zwischen Duft und Gestank

Während ‹Moss Bed› von Meg Webster verschiedene Assoziationen zu wohlriechenden Wald- und Mooslandschaften weckt und Bill Viola mit seiner Installation ‹Il Vapore› die Museumsgäste durch starken Eukalyptusduft in die Video-Performance einbezieht, spielt Sylvie Fleurys ‹Aura Soma› – eine Anordnung von über hundert farbigen und mit speziellen Düften gefüllten Flakons – auf die Esoterik-Bewegung der 1990er-Jahre an.

Piero Manzonis ‹Merda d’artista n.78› blieb seit 1961 sicher in einer Konservendose verschlossen, bis sie Bernard Bazile mit seinem ‹Boîte ouverte›-Remake öffnete. Mit Odeurs jeglicher Art experimentiert die Künstlerin und Geruchsforscherin Sissel Tolaas, die sich in ihrer Installation ‹The Fear of Smell – the Smell of Fear› auch an ekelerregenden Gestank und abstossende Ausdünstungen wagt.

Ein kleines Fläschchen kann das Duftbouquet eines ganzen Parks enthalten, wie Anna-Sabina Zürrers ‹Solitude› oder die Luft von Paris, die Marcel Duchamp in einer Glasampulle verwahrt hat. Auf eines seiner Readymades, ein legendäres Parfum-Flacon, das der Künstler 1921 unter dem Namen ‹Rrose Sélavy› veröffentlichte, nimmt wohl auch der Ausstellungstitel ‹Belle Haleine› (schöner Atem) Bezug. – Zur Schau finden zahlreiche Performances, Vorträge, Workshops und Events statt, so etwa eine Pheromon-Party am Valentinstag.

 

‹Belle Haleine – Der Duft der Kunst›: Mi 11.2. bis So 17.5., Museum Tinguely

 

Programmzeitung   Februar 2015   Seite 25