Kaleidoskop der Linie

Rütimann I

Christoph Rütimann – Die Linie im Kopf. Kunstmuseum Solothurn. Bis 3. April 2016.

 

 

cwb. In der Fülle von Christoph Rütimanns Arbeiten kann man sich verlieren, – staunen über die Vielfalt der abstrakten Formen, die der Künstler mit Tusche und Tinte hervorzaubert, mit Draht konstruiert und mit der Kamera einfängt, dennoch ist «Die Linie im Kopf» im Kunstmuseum Solothurn keine Gesamtschau, sondern nur eine Auswahl aus seinem umfangreichen Werk, durch das sich das Thema der Linie wie ein Ariadnefaden zieht. Die zahlreichen Zeichnungen präsentieren sich in der Ausstellung auf vielgestaltige Weise als Serien, Einzelblätter, gerahmt oder lose an der Wand befestigt und als «Grosse Linie», die sich als neu geschaffener Horizont zwischen den Beständen der Sammlung des Museums einfügt und mit den einzelnen Bildern interagiert.

Schon in den ersten Arbeiten auf Papier aus den achtziger Jahren experimentiert Rütimann mit verschiedenen Werkzeugen und Materialien. Auf der Schreibmaschine getippte Worte ergänzen die notationsartigen Zeichen auf den Blättern «Musik für keine Instrumente» und in der aus einer Performance entstandenen Folge «Dornen im Wachs» zeichnet er mit einem Kaktus direkt auf die wachsbeschichtete schwarze Unterlage. In den später entstandenen «Geschriebenen Zeichnungen» wiederum fehlen die Buchstaben. Symbolhafte Schriftzeichen und verschlungene Muster erinnern zuweilen an Gewobenes und an die Stelle des Texts tritt eine chiffreartige Textur. Dieser zeichenhaften Sprache bedient sich Rütimann nicht nur in vielen Variationen seiner bis zu über hundert Teilen umfassenden Serien, sondern auch auf verschiedenen grossformatigen Blättern, die während seinen Atelieraufenthalten in Amman, London und Venedig entstanden sind. Als Zeicheninstrumente für die riesigen Papierbögen dienten unter anderem Palmwedel und ein Mopp, die er vor Ort gefunden hat. Oft setzt sich der Künstler lange mit einem Thema auseinander und vertieft sich forschend in einen Gegenstand, wie bei den «endlosen Linien» seiner dreidimensionalen Objekte, in denen er Bezüge zu mathematischen und geometrischen Gesetzen herstellt oder in seinen «Handlauf-Videos», wo sich die Kamera entlang von Geländern, Mauern und Kanten bewegt und sich die Linie schliesslich in die zeitliche Dimension ausdehnt.

 

Neue Zürcher Zeitung   Feuilleton  20.02.16   Nr. 42   Seite 48