Transformationen

Cindy Sherman: That’s me – that’s not me, Premières œuvres 1975-1977. Eine Ausstellung der Sammlung Verbund, Wien. Centre de la photographie, Genf. Bis 13. Januar 2013.

 

 

cwb. Mit ihrem puristischen Industriecharme bilden die Räume des Centre de la photographie die ideale Umgebung für die dezente Ästhetik von Cindy Shermans Schwarz-Weiss-Fotografien aus den frühen Jahren. Ein erster Blickfang beim Betreten der Ausstellung ist «Lucy», Shermans Porträt als Fernsehstar Lucille Ball: Schön und sinnlich blickt sie den Betrachter an, und erstaunlich, dass es sich bei dieser Ikone der Postmoderne um ein vergrössertes Passbild aus einem Fotoautomaten handelt.

Ihre Neigung zur Verwandlungskünstlerin ist schon auf ihren ersten Bildern im «Cindy-Book» zu spüren und während ihrer Kunstausbildung, die sie 1975 in Buffalo beginnt, experimentiert sie weiter mit Make-up, Perücken und unterschiedlicher Mimik an der Transformation ihres Gesichts. Es entstehen Serien wie «Mug shot» oder «Untitled ABCDE», in denen sie mit ihrer Vielseitigkeit verblüfft. Aus dieser Zeit stammen auch ihre Super-8-Filme, wie der witzige und zugleich poetische Kurzfilm «Doll Clothes», in dem sich eine animierte «Cutout»-Anziehpuppe die Freiheit herausnimmt, sich selbst anzukleiden, jedoch von einer starken Hand gleich wieder in ihre Schranken verwiesen und in das Album zurückgesteckt wird, aus dem sie stammt. Shermans Fähigkeit, sich in Stereotype zu verwandeln, zeigt sich im umfangreichen Werk «Bus Riders», wo sie mit viel Humor die Identitäten von 35 Typen aller Alters- und Berufsklassen annimmt – von der Hausfrau über den Collegestudenten bis zum Penner.

In New York, wo Cindy Sherman ab 1977 lebt, entstehen schliesslich die «Untitled Film Stills», die stark an den «Film noir» erinnern und ihr zum künstlerischen Durchbruch verhelfen. Im oberen Stockwerk sind grossformatige Farbfotografien aus den Jahren 1987-2001 zu sehen, und hier zeigt sich frappant die Wandlung, die sich in Shermans Werk vollzogen hat: Eindrückliche Stillleben und Porträts, mit denen sie provoziert und hinterfragt – eine interessante Gegenüberstellung zum Frühwerk der Künstlerin, die ihrem Motto bis heute treu geblieben ist: «That’s me – that’s not me».

 

Neue Zürcher Zeitung   Feuilleton   15.12.2012   Nr. 293   Seite 55